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Afghanistan: Keine Alternative zum Bundeswehr Engagement?
Interview mit Dr. Matin Baraki

Am 14.11.03 hat der Bundestag - bereits zum 2. Mal in Folge - dem Antrag der SPD-Grünen-Regierung auf Verlängerung des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan zugestimmt, und zwar mit einer überwältigenden Mehrheit von 540 Stimmen. Unter den 41 Gegenstimmen (bei 5 Enthaltungen) waren lediglich zwei pazifistisch motiviert (die beiden PDS-Abgeordneten).
Den Vorgaben dieser faktischen Großen Koalition folgend hat sich die Stimmung in der Bevölkerung entwickelt, die trotz großer Mehrheit gegen den Irakkrieg inzwischen in Afghanistan offenbar keine Alternative mehr zur militärischen Option sieht.
Vielmehr scheint die NGO-Gemeinde selbst von der allgemeinen Bewusstseinsdrift zur "Logik der Gewalt" erfasst zu sein: Bereits am 17.06.2003 hatten angesichts der unverändert katastrophalen Sicherheits- und Menschenrechtslage 79 internationale NGO´s ein "robustes NATO-Mandat" für Afghanistan gefordert - darunter so renommierte wie Oxfam, und selbst Ärzte- und Friedensorganisationen wie Physicians for Human Rights und Pax Christi International. Die NATO als größte und effektivste Friedensorganisation, wie bereits im Kalten Krieg propagiert?
Daran glauben wir 20 Jahre später immer noch nicht. Mit dem Slogan "Eine friedliche Alternative ist möglich" schlagen wir stattdessen ein Projekt zur Beendigung des Bundeswehrengagements vor, an dessen Anfang wir ein paar Informationen aus der Sicht eines profunden Afghanistan-Kenners stellen möchten. Über die Situation in seiner Heimat, sprachen wir mit Dr. Matin Baraki, ausgewiesener Afghanistan-Experte und Lehrbeauftragter für Internationale Politik an mehreren deutschen Universitäten, u.a. in Marburg.

Frage: Wie stellt sich die aktuelle Situation in Afghanistan dar?

Antwort: In Afghanistan ist es längst nicht friedlich. Vor allem, als der Krieg gegen den Irak begonnen hatte, haben die ehemaligen Mojahedingruppen, Al Qaidah und die Taliban, eine Koalition gebildet. Sie hatten es schon vorher versucht, aber erst in Folge des Irak Krieges ist es tatsächlich dazu gekommen.
Als ich im letzten Frühjahr in Afghanistan und Pakistan war, wurden in den Moscheen Flugblätter verteilt, in denen zum Kampf gegen die USA und die anderen Besatzungsmächte aufgerufen wurde.
Der Osten und Westen Afghanistans ist inzwischen weitgehend unter der Kontrolle der Taliban, Al Qaidah und Hekmatjar. Die USA haben dort keine Militärbasen, sondern operieren punktuell mit ihren Militäreinheiten.

F: Wer Ihren kurz nach den Anschlägen vom 11.09.2001 publizierten Artikel "Die Talibanisierung Afghanistans" liest, gewinnt den Eindruck, entscheidend für die Destabilisierung Afghanistans waren vor allem äußere Faktoren, trifft das zu?

A: Ja, das trifft den Kern des Problems. Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat, aber diese Völker haben Jahrhunderte friedlich miteinander gelebt. Als die Briten Afghanistan im 19. Jahrhundert zwei mal überfallen und besetzt haben, haben alle afghanischen Völker gemeinsam für die Freiheit ihres Landes gekämpft. Die ethnische Frage stand überhaupt nicht im Vordergrund. Im 20. Jahrhundert haben die Briten Afghanistan noch einmal überfallen und wieder hat die ganze afghanische Bevölkerung zusammen für seine Freiheit gekämpft.
Erst 1978 haben die Nachbarstaaten Afghanistans und die Großmächte die innerafghanische Situation für ihre eigenen Interessen instrumentalisiert. Der Afghanistan-Konflikt ist in eine neue Phase gekommen, als die Westmächte, vor allem die USA, massiv die Gegner der afghanischen Regierung unterstützt haben, was dann ja schließlich die sowjetische Intervention provoziert hat. Der Afghanistan-Konflikt ist also letztendlich ein Produkt der Politik, die die Großmächte betrieben haben.

F: Also haben die äußeren Faktoren einen weit größeren Einfluss als diejenigen innerhalb Afghanistans?

A: Genau. Wenn es keine Einmischung von außen gegeben hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, dass die Afghanen ihre Probleme hätten selbst lösen können. In Afghanistan gibt es die Tradition der Dschirga, von Stammesversammlungen, sowie der Loja Dschirga, das heißt große Versammlung oder Rat. Die Menschen in Afghanistan haben ihre Probleme immer durch solche Versammlungen gelöst.

F: Warum hat es diese Einmischung gegeben?

A: Afghanistan war stets Opfer seiner geostrategischen Bedeutung. Stellen sie sich nur mal die Karte von Afghanistan vor. Rings um Afghanistan: Iran, ein Öl exportierendes Land, Mittelasien, der Kaukasus, der indische Subkontinent und wir sind auch nicht weit entfernt vom Irak oder dem Nahen Osten, wo die meisten Ölquellen sind. Die Bedeutung Afghanistans rührt von der geostrategischen Lage diese Landes her.

F: Es entsteht der Eindruck, dass westliches Militärengagement bislang eher Teil des Problems als Teil einer Lösung war. Aber sollte nicht doch, allein um die vielen ausländischen Hilfsorganisationen zu schützen, wenigstens vorübergehend jemand mit "eiserner Faust" für Ordnung sorgen?

A: Genau so wie in der ersten Phase des Afghanistan-Konfliktes die auswärtigen Faktoren den Konflikt verschärft haben, ist es heute auch. Wir müssen ein Stück zurückblicken zur Petersberger Konferenz. Was ist auf dem Petersberg eigentlich passiert? Noch während des Krieges haben die USA unter der formalen Schirmherrschaft der UNO eine Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn einberufen, auf dieser Konferenz waren Monarchisten und drei Modjahedingruppen eingeladen. Also wurde, unter der formalen Schirmherrschaft der UNO, Afghanistan schon auf dem Petersberg, wenn sie so wollen "warlordisiert". Andere Kräfte, zum Beispiel die der Zivilgesellschaft, wurden überhaupt nicht beteiligt, nicht einmal die säkularen Kräfte. Die Monarchisten wurden schließlich auf dem Petersberg an den Rand gedrängt, sie haben keine große Bedeutung gehabt.
Und so wurde eine Koalition zwischen verschiedenen Kriegsparteien mit den USA geschlossen. Bei uns sagt man, wenn das Wasser an der Quelle dreckig ist, ist der ganze Fluss schmutzig. Man hat von Anfang an keine friedliche Konfliktlösung gesucht, sondern nach militärischen Konfliktläsungen, und das ist ein falscher Weg.
Die Folge ist, dass wir jetzt sozusagen in einem Sumpf stecken. Und von außen gibt es eine Menge Menschen, die die Meinung vertreten, es gäbe keine andere Alternative als die militärische Lösung. So etwas wird von den ausländischen Mächten, die in Afghanistan involviert sind, provoziert, um eine Legitimation für eine Militärpräsenz in Afghanistan zu schaffen. Hochrangige Militärs der USA und auch Politiker wie der US- Verteidigungsminister Rumsfeld sagen: Wir werden in Afghanistan auf Dauer bleiben. Das heißt, das Land soll als eine Art Militärbasis genutzt werden. Ein Protektorat ist Afghanistan schon jetzt.

F: Aber könnte nicht z.B. die Bundeswehr für die humanitären Hilfsorganisationen eine Art Schutzfunktion erfüllen?

A: Als die Bundeswehr zunächst nach Westafghanistan in das Reich von Esmael Khan gehen und sich dort engagieren wollte, hat dieser gesagt: Nein, ihr seid unerwünscht.
Danach haben sie andere Lösungen und Wege gesucht und gefunden, nämlich dass die Bundeswehr nach Nordafghanistan, nach Kundus gehen sollte, um dort die Hilfsorganisationen zu schützen. Und ausnahmslos alle Hilfsorganisationen dort haben gesagt: Wir wollen nicht geschützt werden, hier ist es friedlich, und wenn die Bundeswehr hierher kommen sollte, werden wir eher die Zielscheibe von Angriffen. Die Sache wurde in der hiesigen Presse geradezu auf den Kopf gestellt.

F: Aber es gibt ja einen Aufruf von 79 NGO´s, die NATO mit einem robusten Mandat auszustatten um humanitäre Hilfe zu ermöglichen...

A: Sie wissen, das im Krieg keine Humanität möglich ist. Da kann man nur Opfer bergen, aber keinen Aufbau leisten. Die Aufgabe muss doch sein, Bedingungen zu schaffen für einen Wideraufbau. Wenn die NATO mit einem robusten Mandat ausgestattet wird, dann bedeutet das Krieg. Das bedeutet wieder einen Bürgerkrieg, einen Krieg zwischen Warlords, wie Hekmatjar, Al Qaidah und Taliban gegen die NATO. Das ist eigentlich der falscheste Weg, den man sich überhaupt vorstellen kann.

F: Gibt es denn in der jetzigen Situation eine andere Möglichkeit?

A: Ja, indem man sagt, das man nicht den kriegerischen Weg gehen will. Wir wollen einen friedlichen Weg und eine friedliche Lösung. Man sollte nicht mit den Warlords gemeinsame Sache machen, sondern Bedingungen schaffen für den Aufbau einer Zivilgesellschaft. Diese Kräfte hätte man auf dem Petersberg eigentlich unterstützen und zur Macht verhelfen sollen.
Den USA ging es ja sowieso nicht um Afghanistan an sich, soll als Militärbasis genutzt werden für weitere Aktionen in dieser Region. Wenn sie so wollen, ist Afghanistan ein unsinkbarer Flugzeugträger für die USA und nichts anderes.

F: Wenn sie sagen, man befindet sich in einer Sackgasse, gibt es dann noch die Option der nicht-militärischen Lösung des Problems?

A: Man muss vielleicht wieder einen Schritt zurückgehen. Die Militäreinheiten der westlichen Allianz, der USA, sollten aus Afghanistan abgezogen werden. Man müsste versuchen eine Loja Dschirga nicht unter amerikanischem Kommando abzuhalten, sondern Bedingungen zu schaffen für eine demokratische Loja Dschirga. Dass also nicht Warlords durch Gewalt oder mit Stimmenkauf dorthin kommen, sondern tatsächlich die Menschen ihre Vertreter frei wählen können.
Und auf dieser neuen Loja Dschirga soll dann beschlossen werden, welchen Weg das afghanische Volk gehen will. Und ich bin davon überzeugt, dass das Ergebnis ein hundertprozentiges Gegenteil von dem sein wird, was auf der jetzigen Loja Dschirga oder auf dem Petersberg beschlossen worden ist. Und das ist meiner Meinung nach der Weg, der eigentlich zu dauerhaftem und nachhaltigem Frieden in Afghanistan führen wird.

Herr Dr. Baraki, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Das Interview führte Helge v. Horn (AG Root Causes of Conflicts des AK "Süd-Nord")

 

Einige Ausgewählte Publikationen von Dr. Matin Baraki: